Sechs Monate Stillen

Sechs Monate ausschließliches Stillen ermöglichen – für die Gesundheit der Kinder und der Mütter

WHO, UNICEF und führende Fachgesellschaften fordern weltweit, sechs Monate ausschließliches Stillen zu ermöglichen und zu ermutigen. In Deutschland werden Mütter häufig daran gehindert, dieses Ziel zu erreichen - auch durch die Handlungsempfehlungen von „Gesund ins Leben - Netzwerk Junge Familie“ und ihre Umsetzung.

Internationale und deutsche1 Studien und Expertengremien kommen immer wieder zu dem Ergebnis: Sechs Monate ausschließliches Stillen ist eine sinnvolle Empfehlung2. Die Nährstoffe reichen für diese Zeit.3 Früherer Beikostbeginn erhöht die Infektanfälligkeit, auch in Industrieländern.4

Mit ungefähr sechs Monaten erreichen die meisten Kinder die Beikostreife, einen Entwicklungsschritt wie Laufen lernen. Sichtbare Anzeichen sind das Nachlassen des Zungenstoßreflexes, die Fähigkeit, mit Unterstützung sitzen zu können, und die Auge-Hand-Koordination mit gezieltem Greifen und in-den-Mund-Stecken.
Der Magen-Darm-Trakt und das Immunsystem entwickeln sich ebenfalls dahingehend. Die verschiedenen Entwicklungslinien scheinen alle mit ungefähr sechs Monaten zusammenzulaufen.
Nur wenige Kinder erreichen alle diese Meilensteine vor sechs Monaten, viele erst etwas danach.5  Auch der Gesundheit der Mütter kommt längeres und ausschließliches Stillen zugute.6

Allergien
Für einen Beikostbeginn vor 6 Monaten wird öfter ins Feld geführt, dass dies der Allergievorbeugung diene. In Bezug auf Zöliakie wurde dies inzwischen widerlegt.7 Bei Erdnüssen scheinen die wenigsten Allergien aufzutreten, wenn die Mutter sie während der Stillzeit gegessen und das Kind vor einem Alter von 11 Monaten selber Erdnüsse bekommen hatte.8 Bei Erdnüssen und Hühnereiweiß scheint die Einführung zwischen 4 und 6 Monaten die Allergiehäufigkeit gegenüber einer Einführung ab 6 Monaten nicht signifikant zu verringern (SACN).
In den deutschen Handlungsempfehlungen heißt es: „Insgesamt erscheinen Vorteile einer Beikosteinführung vor dem Beginn des 7. Lebensmonats für die Allergieprävention möglich, sie sind aber nicht nachgewiesen.“9. Allergieprävention ist kein Grund, vor sechs Monaten mit Beikost zu beginnen.

Beikost-Beginn in den Handlungsempfehlungen von „Gesund ins Leben“
In Deutschland sollen die Säuglinge dennoch schon früher Beikost bekommen. In den Handlungsempfehlungen heißt es, “Beikost sollte frühestens mit Beginn des 5., spätestens mit Beginn des 7. Monats eingeführt werden.“9 In der weiteren Umsetzung liegt die Betonung auf „Beginn des 5. Monats“: Die grafische Darstellung „Ernährungsschema ab dem 5. Monat“ zeigt ohne wenn und aber den ersten Brei zu Beginn des 5. Monats und zu Beginn des 7. Monats bereits drei Breimahlzeiten mit nur noch wenig stillen.10 Damit wird der Beikostbeginn am Anfang des 5. Monats auf jeden Fall optisch als Norm gesetzt.
Entspanntes ausschließliches Stillen bis 6 Monate wird systematisch entmutigt und erschwert.

Obendrein wird die Beikost in den Handlungsempfehlungen auf „Breikost“ reduziert und die Säuglinge werden mit Löffel im Mund dargestellt. Pürierstab und Löffel sind recht neue Erfindungen. Sie können nützlich sein, ihr Einsatz bei der Beikost ist jedoch nicht zwingend. Seit Jahrmillionen ist es den Familien gelungen, den Übergang vom Stillen zum Familienessen erfolgreich zu gestalten, mit sehr unterschiedlichen Ernährungsformen und ohne Löffel.
So wie gesunde Säuglinge von Geburt an in der Lage sind, selbständig die Brust zu suchen und ihre Milchaufnahme selbst zu regulieren, können sie diese Fähigkeit beim Essen der Beikost weiter einsetzen.11 

Es gibt keine Nachweise dafür, dass ab dem 5. Monat mit dem Löffel gefütterte Säuglinge als Jugendliche und Erwachsene gesünder wären und ein gesünderes Essverhalten zeigen würden als Säuglinge, die nach 6 Monaten mit Erreichen der Beikostreife eigenständig von dem angebotenen Essen gegessen haben. Auch das Risiko des Verschluckens unterscheidet sich nicht.12

Die Handlungsempfehlungen sollten sich von ihrer Fixierung auf Brei und Löffel lösen. In den letzten 20 Jahren ist die durchschnittliche Stilldauer in Deutschland (bezogen auf die Mütter, die überhaupt mit Stillen angefangen haben) unverändert bei 7,5 Monaten geblieben.13 Die Beikostempfehlung von „Gesund ins Leben“ begünstigt frühe Reduzierung des Stillens und damit der Stilldauer.

Beikostprodukte als Wirtschaftsfaktor
Ob Beikost zu Beginn des 5. Monats oder nach einem halben Jahr eingeführt wird, macht für die Babynahrungsindustrie einen deutlichen Unterschied. Zu Beginn des 5. Monats ist nur pürierte Kost möglich - und damit in der Regel Gläschen. Bei Beikostbeginn nach einem halben Jahr fangen viele Eltern gar nicht mehr mit Gläschen an. Wer früher mit Beikost beginnt, stillt erfahrungsgemäß meistens auch früher ab - das verbessert den Absatz der Folgemilchen.

Bei rund 700.000 Neugeborenen pro Jahr und rund 1 € pro Gläschen pro Tag können an den 60 Tagen zwischen Beginn 5. und Beginn 7. Monat bis zu 40 Mio € Umsatz gemacht werden. Hinzu kommen weitere vielleicht 40 Mio € für die Gläschen in den kommenden vier Monaten bei der Hälfte der Familien, die bei späterem Beikostbeginn keine Gläschen benutzt hätten. Für zwei zusätzliche Monate Folgemilch für vielleicht ein Drittel der Kinder bei zwei Fläschchen pro Tag mit ca. 28g Pulver pro Flasche und einem Kilopreis zwischen 8 und 24 € kommt noch mal ein Umsatzplus von ca. 15 Mio € dazu.
Das jährliche Umsatzplus beträgt damit grob geschätzt über 90 Mio Euro.

Es gibt ein starkes finanzielles Motiv, die Stillempfehlungen zu beeinflussen. Die Interessen der Industrie stehen dabei im Gegensatz zu den Gesundheitsinteressen. Deshalb sollten beide Interessenbereiche personell getrennt werden. Wer von der Babynahrungsindustrie oder ihren Instituten (wie z.B. dem „Nestlé Nutrition Institute“) Aufträge, Honorare oder Sponsoring bekommt, sollte nicht in Gremien sitzen, die über allgemeine Stillempfehlungen entscheiden.14

Zusammenfassung
Sechs Monate ausschließliches Stillen empfehlen und ermöglichen, für den Beikostbeginn das Augenmerk auf die Beikostreife legen, offen sein für vielfältige Vorgehensweisen bei der Beikost, das Weiterstillen neben angemessener Beikost bis zum Alter von zwei Jahren oder darüber hinaus unterstützen: Das alles zusammen nützt der Gesundheit von Kindern und Müttern und nimmt Druck von den Familien (und unterstützt auch damit die Gesundheit).

Utta Reich-Schottky für DAIS, Februar 2018

Zitierte Quellen in Kurzform: 
1: Rebhan et al 2009; 2: AAP 2012, ESPGHAN 2017, Kramer et al 2012, NHS UK 2018, Smith et al 2016, WHO 2017 u.a.; 3: Butte et al 2002; 4: Chantry et al 2006, Ladomenou et al 2010, WHO 2017 u.a.; 5: Cattaneo et al 2011, Naylor et al 2001; 6: Victora et al 2016, Farland et al 2017 u.a.; 7: Silano et al 2016; 8: Pitt et al 2017; 9: Koletzko et al 2016; 10: Gesund ins Leben 2018; 11: Rapley et al 2015; 12: Fangupo et al 2016; 13: vdLippe et al 2014; 14: Lempert et al 2015, Lieb et al 2011

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